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Bernhard Jaumann, Duftfallen
 
 
 
         
     
  LESEPROBE:  
     
 

Vor Takamura stand ein Kanpai-Getränkeautomat. Und neben ihm eine Polizistin, die als Geisha verkleidet am Hanami-Fest einer Abteilung der Firma Kanpai teilgenommen hatte. Es roch köstlich nach Kaffee. Nach Kanpai-Kaffee.

"Sie schnüffeln der Firma nach?" fragte Takamura.

Die Polizistin zeigte auf den Spielsalon, in dem gerade der Möchtegernskater verschwunden war.

"Da drinnen schenken sie Kaffee aus", sagte sie. "Man muss nur rufen und sie bringen ihn an den Apparat, den man gerade mit seinen Münzen füttert."

"Vielleicht ...", sagte Takamura.

"Nein." Die Polizistin unterbrach ihn. "Kaffee gehört zum Service. Daran wollen die gar nicht verdienen. Er kostet keinen Yen mehr als der hier im Automaten."

Es roch nicht nur nach gerade gemahlenen Kaffeebohnen. Es roch auch nach frisch aufgebrühtem Kaffee, der in einer Porzellantasse vor sich hin dampft. Und nach den Plantagen auf Java, wo die erntereifen Kaffeebohnen im Halbschatten von Bananenstauden hingen. Und nach dem Duft aus den Kupferkesseln, in denen die Bohnen geröstet wurden. Es roch nach Kaffee total.

Takamura ging in die Hocke, bewegte den Kopf nach vorn. Der Kaffeeduft kam nicht aus dem Ausgabeschacht des Automaten.

"Was ist das?" fragte die Polizistin. "Was lässt einen Teenie auf den Bringservice verzichten, seine intergalaktische Videomission unterbrechen, hier herausmarschieren und sich eine verdammte Dose Kaffee aus diesem verdammten Kanpai-Automaten ziehen?"

Es war ein komplexer, wohlabgerundeter und intensiver Kaffeeduft. Es roch anregend, einladend, verführerisch, köstlich, doch es war nichts anderes als Kaffeeduft. Nichts an ihm war geheimnisvoll, außer der Tatsache, dass er aus einem Automaten hervorströmte, aus dem es - wenn überhaupt - nach abgestandenem, über Stunden und Tage warmgehaltenem Gebräu riechen müsste.

Takamura schnupperte mit der Nase weiter nach unten. Eine Handbreit über dem Straßenpflaster war eine Reihe senkrechter Schlitze ins Blech des Automaten gestanzt. Takamura legte die Finger darauf. Das Blech vibrierte leicht. Es summte sanft.

"Der Kaffeegeruch kommt aus den Lüftungsschlitzen", sagte Takamura. "Die dienen wohl für die Abluft des Wärmeaggregats, mit dem die Brühe heiß gehalten werden soll."

Der Türsteher des Spielsalons machte einen Schritt nach vorn und schaute interessiert zu.

"Ist was?" fragte die Polizistin. Der Türsteher verbeugte sich und machte einen Schritt zurück. Takamura stützte sich mit beiden Händen an der Unterkante des Automaten ab. Hinter den Schlitzen schien das bunte Licht der Neonreklamen wider.

"Wasser", sagte Takamura. "Oder Kaffee? Am Boden unter den Schlitzen steht eine Flüssigkeit."
Er war kein Fachmann für Getränkeautomaten, doch er bezweifelte, dass die Flüssigkeit eine von den Konstrukteuren vorgesehene Funktion erfüllte. Er zwängte den Zeigefinger durch einen der Schlitze und stippte in die Brühe. Sie war lauwarm. Er roch. Zur Sicherheit fasste er mit dem kleinen Finger noch einmal nach. Die Flüssigkeit roch nach Kaffee.

"Darf ich mal?" krächzte eine Männerstimme über Takamura. Er wischte sich die Finger an der Jacke ab und sah hoch. Einer der Penner stand neben ihm. Er stank nach Bier und war offensichtlich über die Straße gewankt, um sich mit einer Dosis Koffein für die nächsten Runden in Form zu bringen.
"Entschuldigung", sagte Takamura. Er erhob sich und trat zur Seite. Die Leuchtreklamen warfen grelle Farben durch die Nacht. Die Polizistin sah ihn fragend an. Ihr Kimono wirkte im abendlichen Gewühl des modernen Tokio fehl am Platz.

"Ich habe keine Ahnung, was hier vorgeht", sagte Takamura. Irgend etwas stimmte nicht. Es war nur Kaffeeduft, aber ...

Es war nicht nur Kaffeeduft. Nicht mehr. Takamura lehnte neben der Geisha an einer Straßenlaterne. Sie waren etwa vier Schritte von dem Automaten entfernt. Der Kaffeeduft war nur noch eine Hülle, die sich immer mehr ausdünnte. Darunter wuchsen neue Düfte auf. Andere. Verschiedene. Unterschiedliche. Als ob eine Knospe plötzlich aufgesprungen wäre, ihren Duft mit einem Stoß in die Nacht entsandt hätte. Als ob jemand ein Fläschchen Rasierwasser zertreten, grünen Tee verdampft, exotische Aromen aus fernen Dschungeln hierher geblasen hätte.

"Das ist ...", sagte die Polizistin.

Passanten blieben stehen, ein loser Kreis von Menschen bildete sich um den Penner, der am Automaten stand, ohne zu wissen, wie ihm geschah. Vielleicht glaubte er, mit seinen geschnorrten Münzen das Duftwunder herbeigezaubert zu haben, doch das kümmerte Takamura wenig. Er stand einfach da und roch. Er war gespannt, wohin das führen würde. Welcher besondere Geruch das große Finale bilden könnte.

Takamura stellte ihn sich als gewaltigen Donnerschlag vor, doch er irrte sich. Wie von selbst verschmolzen die unterschiedlichen Düfte zu einem einzigen, sich ruhig und souverän entwickelnden neuen Aroma. So selbstverständlich passten sie sich ein, als hätten sie nie einzeln existiert. Das war es, darauf steuerte alles zu, auf diesen betörenden Duft, der fremd und vertraut zugleich wirkte. Rauchig war er, herbe Verletzlichkeit strahlte er aus, er klopfte an längst vergessene Türen, schloss die Vergangenheit auf, ferne Jahrhunderte, in denen gelb gewandete Mönche um das Nichts meditierten.

Unbeweglich saßen sie in düsteren Tempelhallen, eine Reihe kahl geschorener Köpfe. Ihre Augen suchten nicht nach den Dämonenfratzen, die schwarz und rot aus dem Gebälk grinsten. Ein mannshoher Gong hing am Eingang, schwieg still vor dem vielfachen tiefen "Om", das von überallher zu tönen schien, aus Boden und Wänden, aus dem Bauch des Buddha selbst. Oder es floss aus den Bronzebecken, in deren Sandboden glimmende Bündel von Räucherstäbchen steckten, waberte schwer über die dunklen Bretter, räucherte alles Profane aus, tötete das Verlangen ab, Lust und Schmerz, alles Alltägliche.

Om, das heilige Om roch nach Räucherstäbchen und quoll nach oben, würde sich im ganzen Universum ausbreiten, hatte schon die Seele der Mönche erreicht, die ihre Körper nicht mehr spürten, die vielleicht schon eine Handbreit über dem Boden schwebten, Om, eine ferne Trommel trommelte dumpf. Eine Handbreit hoch in der rauchigen Luft schwebten die Mönche, so nahe am Nirwana, wie es ihnen in diesem Leben nie mehr gelingen würde. Om. Das Om roch nach feinstem Räucherwerk. Aus Aloeholz vielleicht. Ja, Aloe war sicher dabei.

"Om", summte Takamura leise, und als habe gerade er kein Recht dazu, als sei er es, der den Zauber gebrochen habe, zersprang die Harmonie der Welt, stürzte schon der erste Mönch ab, starb, wurde augenblicklich in anderer Gestalt wiedergeboren, als Mann unbestimmbaren Alters, mit fettigen, zotteligen Haaren, einer abgeschabten Windjacke und einer dreckverkrusteten Hose, bei der es keine Rolle spielte, ob man sich auf dem Asphalt wälzte.

Der Gong, das Tempelgebälk, die Buddha-Statuen und Dämonenfratzen waren verschwunden, nur der Rauch des Om wehte in das neue Leben hinein, in dem der Mönch als Penner wiedergeboren worden war. Er krümmte sich vor einem Kanpai-Automaten, Leuchtreklamen blitzten und der Bettelmönch röchelte und zuckte und starb erneut. So war das. Tod und Wiedergeburt und Tod. Leben verrauchten in der Abendbrise. Alles war ganz normal. Es gab überhaupt keinen Grund für die Passanten, zu schreien und zu fliehen. Takamura stand stocksteif am Laternenpfahl.

"Hilfe!" brüllten angstverzerrte Stimmen.

"Gift!" brüllten sie.

"Giftgas!" kreischten sie.

 
  (Aus: DUFTFALLEN, S. 28-32)  
   
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