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    Bernhard Jaumann, Steinland    
 
 
         
     
  LESEPROBE:  
     
 

1

Die Steine schrien aus dem Grau der Nacht. Sie seufzten nicht und jammerten nicht, es war kein Flüstern, kein Tuscheln, kein sachtes Wispern im Wind. Sie brüllten so laut, dass es in Elsa Rodensteins Ohren gellte und die sicher geglaubten Mauern ums eigene Ich ins Wanken gerieten. Elsa Rodenstein meinte zu spüren, dass auch der Boden unter ihren Füßen nachgab. Gleich würde sie im Sand zwischen den Steinen versinken, bis zu den Knöcheln, bis zur Hüfte, zum Hals, und dann wäre sie verschwunden. Sie nahm das Gewehr quer vor die Brust, tat zwei Schritte und setzte sich auf einen kniehohen Felsbrocken. Eine Kante drückte durch den Stoff ihrer Hose. So war es besser.

Der Wind war frisch, die Winternacht klar, und das Mondlicht floss wie Wasser über den Abhang des Hügels im Südwesten. Dort oben war einer ihrer bevorzugten Sundowner-Plätze gewesen. Man konnte mit dem Bakkie bis zum höchsten Punkt fahren und hatte dann einen weiten Blick fast bis an die westliche Grenze der Farm. Vor allem nach einer guten Regenzeit, wenn das Gras wogte und im sterbenden Sonnenlicht golden erglänzte, konnte man sich keinen schöneren Platz auf Erden vorstellen. Gregor hatte sich immer ein Windhoek Lager aus der Coolbox geholt. Für Elsa hatte er einen Gin Tonic gemixt. „Nicht so viel Gin“, hatte sie protestiert, und Gregor hatte gelächelt. Dann hatten sie nichts mehr gesagt, sondern nur noch in die Ferne geschaut, bis die Sonne am Horizont versickert war. Elsa Rodenstein war sich nicht sicher, ob sie jemals wieder auf den Hügel hinauffahren würde.

Doch, natürlich würde sie das irgendwann tun! Das Leben ging weiter, wie es immer weitergegangen war. Auch morgen würde für sie die Sonne aufsteigen. Und übermorgen. Und all die Jahre, die ihr noch blieben. Und wenn Elsa nicht mehr war, dann eben für die Generationen, die nach ihr kamen. Elsa durfte sich nicht gehen lassen, musste hart sein wie die Steine, die seit Ewigkeiten der Sommerglut und dem Winterfrost trotzten. Selbst wenn sie brachen, waren sie immer noch da. Und sie schrien nicht. In der Welt, die Elsa kannte, hatten sie nie geschrien. Sie wussten gar nicht, was das war: Schreien. Elsa setzte den Kolben des Gewehrs vor ihren Füßen auf und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Geht jetzt!“, sagte sie.

„Wir lassen dich nicht allein“, sagte Schroeder. Mit den anderen vier Männern bildete er einen Halbkreis, fast so, als stünden sie um ein offenes Grab und warteten darauf, eine Schippe Sand auf den Sarg zu werfen. Nur, dass sie statt der Schaufel jeweils ein Gewehr in den Händen hielten. Der Vollmond schien so hell, dass ihre Körper Schatten warfen.

Schatten in der Nacht, dachte Elsa. Bewiesen sie nicht, dass es nie ganz dunkel wurde über diesem Land? Alles hatte seinen Zweck. Elsa sagte noch einmal: „Geht jetzt!“

„Herr Gott“, sagte Schroeder, „Tatort hin oder her, jeder wird verstehen, wenn du Gregor ins Farmhaus bringst, selbst unsere Polizei.“

Gregor? Elsa blickte auf den schwarzen Klumpen vor sich. Es hätte ein Felsbrocken sein können oder sonst etwas. Jedenfalls war es nicht ihr Mann. Höchstens ein toter Körper, der ihm zum Verwechseln glich. Elsa stellte sich vor, wie Gregor über ihnen schwebte und auf seinen Leichnam herabsah. Er würde es bei einem kurzen prüfenden Blick belassen, viel Aufhebens hatte er nie um sich gemacht. Er würde die Pumpe mustern. Die Sonnenkollektoren hatte er installiert, das Bohrloch war schon von seinem Großvater geschlagen worden. Bald würde Gregor die Augen abwenden, würde den Blick zu Kamp 3, in dem die Bullen standen, und zu Kamp 5 mit den Färsen wandern lassen, dann zu den Bergen im Norden, wo er die Leopardenspuren im Riviersand gefunden hatte, und schließlich zurück zu ihr. Wenn er könnte, würde er ihr zuflüstern, dass sie ihn dort drüben bei den anderen Gräbern begraben solle. Nach einem kurzen Zögern würde er hinzufügen, dass es damit gut wäre. Natürlich wusste er genau wie sie, dass das nicht stimmte. Manche Dinge konnte man nicht gut sein lassen.

Elsa sah nach oben. Über ihr schwebte niemand. Die Sterne blinkten kalt aus dem schwarzen Himmel. Nur rund um den Mond verschwanden sie im Grau.

„Elsa …“, sagte Schroeder.

„Es ist nicht Gregor, es ist nur sein toter Körper.“

„Gregor hätte nicht gewollt, dass du …“

„Was?“, fragte Elsa scharf. Sie wusste am besten, was Gregor gewollt hätte, doch darauf kam es jetzt nicht an. Es galt zu tun, was getan werden musste. Das fiel ihr nicht schwer. Sie war in Namibia geboren, sie war eine Farmersfrau, sie hatte lange genug auf diesem harschen Land gelebt, um zu wissen, wie das ging. Schroeder schwieg, und die anderen auch.

„Jedenfalls danke, dass ihr gekommen seid“, sagte Elsa. Durch die Hose spürte sie, wie die Kälte des Steins in ihre Glieder kroch. Gleich würde sie aufstehen und sich bewegen. Bis zum Farmfriedhof hinüber gehen und wieder zurück. Immer hin und her. Die ganze Nacht durch. Bis ihre Beine sie nicht mehr trugen. Doch solange ihre Nachbarn noch hier waren, würde sie sitzen bleiben, als wäre sie mit dem Felsbrocken verschmolzen. Elsa fixierte Haseney. Der musste den Anfang machen. Er hatte eine hochschwangere Frau zu Hause sitzen. Man wusste doch, dass die Wehen gern dann einsetzten, wenn der Mann weg war. Haseney wurde anderswo gebraucht, nicht hier.

„Ich würde einfach gern allein sein“, sagte Elsa. Allein mit dem Leichnam, mit dem Dunkel und mit dem Land, das unter ihm schlummerte. Mit dem dürren Gras, dem Sand und den Steinen, die keineswegs schrien, sondern stumm bleiben würden bis zum Ende der Zeiten. Haseney nickte langsam. Er schlug die Augen nieder und wandte sich um. Zögernd folgten ihm die anderen. Nur Schroeder konnte sich noch nicht entschließen. „Ich bleibe in deinem Haus. Wenn irgendetwas ist …“

„Klar“, sagte Elsa.

„Beim ersten Tageslicht schaue ich nach dir.“

„Ist gut“, sagte Elsa. Sie sah Schroeder nicht hinterher. Als sie seine Schritte nicht mehr hörte, stand sie auf und streckte die Glieder. Von fern heulte ein Schakal. Ein anderer antwortete. Der war näher, vielleicht unten im Rivier. Elsa prüfte noch einmal, ob ihr Gewehr geladen war. Der Klumpen zu ihren Füßen hatte mit ihrem Mann nichts mehr gemein, aber es war immerhin ein menschlicher Leichnam. Sie konnte nicht zulassen, dass irgendwelche Aasfresser sich an ihm gütlich taten. Die Polizisten sollten erkennen können, was geschehen war. Sie sollten alles untersuchen, ihren Bericht schreiben und tun, was zu tun war. Darin bestand – verdammt noch mal – ihre Aufgabe.

Das Gestänge, auf dem die Sonnenkollektoren befestigt waren, glänzte im Mondlicht. Elsa strich über das Metall. Es fühlte sich kalt an. Und hart. Elsa drehte sich um, stapfte die hundert Meter zu den Gräbern hinüber, umrundete sie und kehrte zu dem Klumpen am Boden zurück. Der Sand knirschte unter ihren Sohlen, und die Steine, sie schrien doch. Unerträglich laut. Elsa legte das Gewehr ab und presste sich die Hände auf die Ohren.

 
  (Aus: STEINLAND)
   
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