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Bernhard Jaumann, Geiers Mahlzeit
 
 
 
         
     
  LESEPROBE:  
     
 

1

Der verdammte rote Sand. Der brennende Himmel über der Namib-Wüste. Glühend die kahlen Felsen vor mir. Irrbilder die flimmernden Bäume über dem Horizont. Durchsichtige Leben verenden im Keckern der Geckos. Ich stolpere weiter. Er ist hier. Irgendwo. Im Sand vergraben. Als Geier vor der Sonnenglut kreisend. Ich spüre seinen Atem auf meiner verbrannten Haut, an meinem verdorrten Gaumen. Vielleicht bin auch ich hier. Wer weiß? Ich. Seltsames Wort. Ist es möglich, dass ich noch vor wenigen Tagen dachte, Walter Rogner zu sein und niemand sonst?

 

2

In Fachkreisen hatte der Name Walter Rogner keinen schlechten Ruf. Dennoch wunderte ich mich, dass ich zu einem Übersetzerkongress nach Toronto eingeladen wurde, nachdem ich bei ähnlichen Gelegenheiten immer unter irgendeinem Vorwand abgesagt hatte. Ich fühlte mich nun mal in meiner Wohnung am wohlsten, in der Höhle meines Arbeitszimmers, wo die Regale bis zur Decke reichten und kein Quadratzentimeter Wand zwischen den Bücherrücken aufschien. Gegen Abenteuer hatte ich nichts, solange sie sich schwarz auf weiß zwischen Buchdeckeln abspielten. Ich musste mir nicht ganze Nächte in engen Flugzeugsesseln um die Ohren schlagen, nur um in malariaverseuchten Ländern ausgeladen zu werden, in denen man schon auf dem Flughafen zum erstenmal ausgeraubt wurde. Mir genügte es, solche Geschichten so zu übersetzen, dass man die Moskitos summen hörte, wenn man meine Zeilen las.

Was mich bewog, die Einladung nach Toronto diesmal anzunehmen, wusste ich nicht genau. Vielleicht nur, dass Kanada malariafrei war. Oder dass der Verlag, für den ich zwei Bücher von Nigel Barley übersetzt hatte, mir die Flugkosten erstatten wollte. Vielleicht hatte mir auch die selbstironische Art, mit der Barley seine ethnologischen Forschungsreisen schilderte, Appetit gemacht. Jedenfalls sagte ich spontan zu, und später, als sich meine Bedenken meldeten, scheute ich so lange vor einem Rückzieher zurück, bis es zu spät war.

Ich hätte es als Zeichen nehmen sollen, dass ich meinen Reisepass nicht fand. Ich konnte mich kaum erinnern, wann ich ihn das letzte Mal gebraucht hatte – die vergangenen zwei Jahrzehnte jedenfalls nicht - , doch ich war ziemlich sicher, ihn in meiner Dokumentenmappe aufbewahrt zu haben. Zusammen mit Geburtsurkunde, Taufschein, Schul-, Universitätszeugnissen und anderen ach so wichtigen Unterlagen, die man nie mehr benötigt, sobald man sich im Leben eingerichtet hat. Nicht nur der Pass, sondern die ganze Mappe war verschwunden. Ich hatte sie noch genau vor Augen, ein in dickes braunes Leder gebundenes Ding mit vergoldeten Verschlüssen und der ebenfalls goldfarben geprägten Aufschrift "Dokumente".

Zwei Tage lang stellte ich meine Wohnung auf den Kopf, zog jedes Buch aus dem Regal, leerte sämtliche Schubladen meines Schreibtischs, doch vergebens. Am dritten Tag ging ich zum Einwohnermeldeamt, um mir einen neuen Reisepass ausstellen zu lassen. Die Angestellte klickte auf ihrem Computer herum und fragte: "Wie war der Name?"

"Rogner, Walter. Geboren am 12.6.1954."

"Würden Sie das bitte buchstabieren?"

Ich hatte keine Ahnung, wie man meinen Namen anders hätte schreiben sollen als mit der Buchstabenfolge R-O-G-N-E-R, aber ich tat ihr den Gefallen.

"Wir haben Sie nicht", sagte die Frau.

"Wie?"

"Bei uns ist kein Walter Rogner gemeldet."

Ich sagte vorsichtig, dass das ein Irrtum sein müsse. Die letzten siebzehn Jahre hätte ich ununterbrochen hier in Rosenheim gelebt und gearbeitet, nur mein Pass sei unauffindbar, und da ich ihn für eine Reise bräuchte, wolle ich mir einen neuen ausstellen lassen. Das sei doch wohl möglich?

"Da könnte ja jeder kommen", sagte die Angestellte. Sie war grau im Gesicht und trug eine dieser modischen Brillen mit großen Gläsern und einer feuerroten Kunststofffassung, deren verzweifelte Fröhlichkeit mich aus irgendeinem Grund denken ließ, dass ihre Trägerin das Leben anderswo vermutete. Ich schüttelte den Kopf. Mein Pech, dass ich auf eine Vertreterin der Sorte Bürokraten stoßen musste, denen ein mit Siegel und Stempel für tot Erklärter zweifelsfrei als tot galt, auch wenn er ihnen persönlich gegenüberstand.

Ich muss ziemlich hilflos gewirkt haben, denn sie fragte in einem ganz unerwarteten Anflug von Hilfsbereitschaft: "Wo haben Sie denn vorher gewohnt?"

"Augsburg", sagte ich. "Seit meiner Geburt."

Die Angestellte suchte die Nummer des dortigen Amtes heraus und rief an. Während sie auf eine Auskunft wartete, belehrte sie mich, dass es in Deutschland eine Meldepflicht gebe. Ich könne nicht einfach umziehen, ohne den zuständigen Stellen Bescheid zu geben. Ich war mir eigentlich sicher, das damals erledigt zu haben, aber beschwören wollte ich es nach siebzehn Jahren auch nicht. Die Angestellte klemmte den Hörer mit der Schulter fest, warf ab und zu ein "Ach so" oder "Aha" ein und notierte sich, was sie am Telefon vernahm. Dann sagte sie zu mir: "Na gut, das ist etwas anderes."

"Was?"

"Dass Sie nach Windhoek/Namibia ausgewandert sind. Wenigstens haben Sie sich in Augsburg ordnungsgemäß abgemeldet. Am 29.3.1990."

Namibia? Ich? Auch wenn es doppelt so lang her gewesen wäre, das konnte ich hundertprozentig ausschließen. Es musste sich um eine Verwechslung handeln.

 
  (Aus: GEIERS MAHLZEIT, S. 5-8)  
   
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