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Bernhard Jaumann, Handstreich
 
 
 
         
     
  LESEPROBE:  
     
  Lopez Garcìa setzte sich vor den Computer und tippte an seinem Bericht weiter. Er arbeitete mit dem Zweifingersystem. Das zog sich hin. De Soto vertiefte sich wieder in sein Buch über den Untergang des Aztekenreichs. Er fläzte im Stuhl. Seine Knie hatte er gegen die Schreibtischkante gepreßt. Ab und zu schüttelte er den Kopf und machte "hm, hm".

Lopez Garcìa tippte: "D-i-e- -B-e-s-c-h ..."

Es klopfte an der Tür. De Soto setzte die Füße auf den Boden und rutschte mit dem Rücken nach oben.


Lopez Garcìa tippte: "r-e-i-b ..."


Es klopfte wieder. De Soto legte das Buch in seine Schreibtischschublade und kläffte: "Herein!"


Es war nur ein Uniformierter mit Panzerweste, der von dort, wo er Objektschutz zu leisten hatte, ausgebüchst war.


Lopez Garcìa tippte: "u-n-g ..."


Der Polizist trug eine schwarze Tasche mit sich. Er öffnete sie und holte eine Zellophantüte heraus. Es sah aus, als wolle er Brotzeit machen.


De Soto sagte: "Und sonst geht es gut?"


Der Schutzpolizist legte die Zellophantüte auf den Schreibtisch. In ihr war keine Brotzeit. In ihr war eine abgeschlagene Hand.


Lopez Garcìa tippte: "%-4-_-Q-Q-Q ..."


Die Hand sah wächsern aus. Bis auf die schwarzen Verkrustungen am Gelenkstumpf.


"Ich soll das hier abgeben", sagte der Schutzpolizist. "Die Hand wurde heute morgen in der Basilica de Guadalupe gefunden. Genauer gesagt, oben in der Juan-Diego-Kapelle vor dem Seitenaltar. Erst dachte der Pfarrer, jemand habe die Statue des Dornenkronenjesus mutwillig beschädigt, aber die steht ja hinter Sicherheitsglas, und außerdem hatte sie noch beide Hände dran, und dann merkten sie ziemlich schnell, daß es die Hand eines Menschen aus Fleisch und Blut war."


Die Hand lag in einer Zellophantüte auf der Schreibunterlage des Schreibtischs. Sie wirkte fehl am Platz. Es war De Sotos Schreibunterlage.


Lopez Garcìa tippte auf die Taste "Rückwärts entfernen". Sechsmal.


Der Schutzpolizist sagte: "Ich soll die Hand hier abgeben, weil es sich wahrscheinlich um die Hand handelt, die an Ihrer Leiche fehlt."


"An unserer Leiche?" fragte De Soto. Es war auch De Sotos Schreibtisch.


"Adiòs", sagte der Schutzpolizist.


"Um welche Hand es sich handelt, soll der herausfinden, der ...", sagte De Soto.


"Also bis irgendwann", sagte der Schutzpolizist und war schon draußen. War weg. Rannte wahrscheinlich wie ein Irrer die Treppe hinunter, stürzte an der Pforte vorbei und hielt erst für ein Dankgebet an die Muttergottes an, als er die Plaza Tols erreicht hatte.


"... dafür zuständig ist", sagte De Soto.


Lopez Garcìa tippte: "d-e-s ..."


Auf De Sotos Schreibtisch lagen ein paar Akten, zwei Tageszeitungen, Schreibmaterialien. Da stand eine als Briefbeschwerer dienende Schneekugel, die ein Bambi in Disneylandkulisse zeigte, und da stand noch eine Schreibtischlampe, an der eine Ansichtskarte aus Cancùn lehnte, und da lag eine Hand in einer Zellophantüte.


"Scheiße", sagte De Soto. Er war ein Häufchen Elend, das fast im Bürostuhl verschwand.


Lopez Garcìa tippte: "B-u-s ..."


"Soll ich weitertippen?"


Lopez Garcìa murmelte: "fahr".


Er tippte: "f-a-h-r ..."


"Ein beschissenes, unglückverheißendes Vorzeichen", sagte De Soto. "Das wird nicht gut gehen mit dieser Stadt. Keine Ahnung, ob es ein Erdbeben sein wird oder ein Vulkanausbruch, der alles unter einer meterdicken Aschenschicht begräbt, irgend etwas ist auf jeden Fall im Anmarsch."


"e-r-s ..."


De Soto stand auf, reckte sich, streckte die Schultern gerade. Wahrscheinlich hatte er gerade beschlossen, dem bevorstehenden Weltuntergang heroisch entgegenzutreten. De Soto sagte: "Ich nehme jetzt die Tüte, in der sich die abgeschlagene Hand befindet, und bringe sie ins Gerichtsmedizinische Institut."


De Soto streckte die rechte Hand aus.


"Dort gebe ich die Tüte einfach ab, und die netten, hilfsbereiten, den Umgang mit Leichenteilen gewohnten Angestellten des Gerichtsmedizinischen Instituts werden mir die Hand abnehmen und beim Rest der bedauernswerten Leiche verstauen."


De Soto ließ die Finger der rechten Hand zappeln. Lopez Garcìa tippte auf ein paar Tasten ein.


"Im Tode vereint", sagte De Soto.


Er nickte, er schluckte, er sagte: "Ich gebe einfach die Tüte ab."


Er klatschte zweimal in die Hände. "Und schon ist alles in Ordnung", sagte er.


Dann schluckte er und nickte. "Einfach abliefern", sagte er, und endlich griff er sich die Tüte mit spitzen Fingern. Er zischte ab.


Zur Gerichtsmedizin in der Calle Marquèz Sterling war es nur ein Katzensprung, aber trotzdem war De Soto zu schnell wieder zurück. So schnell, daß Lopez Garcìa noch nicht einmal die Aussage des Busfahrers fertig getippt hatte. De Soto hielt eine Zellophantüte in der Hand. Das sah nicht gut aus. Lopez Garcìa widmete sich mit Hingabe seiner Computertastatur. De Soto warf die Zellophantüte auf den Schreibtisch. Er sagte:


"In der Gerichtsmedizin wollen sie Leichen, keine Leichenteile. Wir sollen froh sein, daß sie die unvollständige Leiche vom Templo Mayor angenommen haben. Aber eine einzelne Hand? Eine Hand ist unzweifelhaft nicht mehr als ein Leichenteil."


Lopez Garcìa sah von seinen Händen auf, als sich De Soto auf die Kante des Schreibtischs setzte.


"Aber, sage ich", sagte De Soto, "könnte man mit der Hand nicht einfach den restlichen Haufen, der ja auch partiell zerstückelt ist, zu einer kompletten Leiche ergänzen? Vervollständigen?"


"Man konnte nicht", vermutete Lopez Garcìa. Die Hand lag zwei Meter neben ihm und sah wie ein in Zellophan verpacktes Leichenteil aus.


De Soto hob den Zeigefinger. "Man konnte keinesfalls, da alles seine Ordnung haben muß und deshalb jede zugängige Leiche mit einer laufenden Nummer versehen wird, und zwar strikt und ausnahmslos in chronologischer Reihenfolge, so daß sie der Hand, wenn sie diese hätten annehmen können ..."


"... was wegen ihres Charakters als Leichenteil natürlich nicht möglich war ..."


"Wenn es aber möglich gewesen wäre, hätten sie der Hand die Nummer 12736 zuteilen müssen, während der Rest der Leiche unter 12729 erfaßt war, so daß eine einzige, wenn auch zerstückelte Leiche unter zwei verschiedenen Nummern abgelegt wäre, als ob es sich um zwei verschiedene Leichen handelte ..."


"... was natürlich absolut unmöglich ist ..."


"... so daß ich mit der Hand und dem guten Rat, das nächste Mal erst dann aufzutauchen, wenn wir das Leichenpuzzle vollständig zusammengesetzt hätten, wieder abziehen durfte."
 
  (Aus: Handstreich, S. 87-90)  
   
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